Gefördert durch das Land Hessen
und den Europäischen Landwirtschaftsfonds
für die Entwicklung des ländlichen Raums:
Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete
Herausforderungen
Das Vorhaben zielt auf eine Schlachtung von nicht ganzjährig im Freien gehaltenen Rindern. Für diese ist die sogenannte Weideschlachtung nach 12 der Tier-Lebensmittelhygiene-verordnung (Tier LMHV) nicht gültig. Die Schlachtung wird - unter Einhaltung der Tierschutz-Schlachtverordnung (EG) Nr. 1099/2009 und der EU-Hygieneverordnungen (EG) Nr. 852/853/2004 - vom Schlachtunter-nehmen durchgeführt und räumlich sowie zeitlich entkoppelt.
Innovation
Entflechtung des Schlachtverfahrens durch die Entwicklung einer teilmobilen und EU-zugelassenen Schlachteinheit. Durchführung der ersten Schlacht-schritte auf dem Haltungsbetrieb unter Einhaltung der rechtlich-hygienischen Vorgaben. Transport des Schlacht-körpers zum Schlachtunternehmen für weitere Arbeitsschritte.
Die nationale Verordnung, die der Umsetzung der EU-Tierschutz-Schlachtverordnung dient, besagt, dass „Tiere so zu betreuen, ruhigzustellen, zu betäuben, zu schlachten oder zu töten [sind], dass bei ihnen nicht mehr als unvermeidbare Aufregung oder Schäden verursacht werden“. Die Realität jedoch ist weit entfernt von diesen Vorgaben. Die letzte Phase des häufig kurzen Lebens der Tiere ist von Stress und Furcht geprägt. Die Trennung von der Herde und dem vertrauten Umfeld, der Weg zum Schlachter und das Warten in den Warteställen unter Futterentzug, das Eintreiben und Fixieren in der Tötungsfalle – all diese „prämortalen Belastungszustände“ bedeuten für die Tiere – kurz gesagt – Stress.
Genau das wollen viele Landwirte vermeiden und dies nicht nur aus Gründen des Tierschutzes, sondern auch, um eine optimale Wertschöpfung (d. h.: Fleischqualität) mit ihren Tieren zu erzielen. Hier gibt es offenbar enge Zusammenhänge: Entscheidenden Einfluss auf die Fleischqualität, der die „Schlachtkörperqualität“ zugrunde liegt, haben prämortale wie postmortale Prozesse.
Die prämortalen Einflussfaktoren umfassen nicht nur Genetik, Fütterung und Haltung der Tiere, sondern auch das Töten. Hierbei besonders wichtig ist das gesamte Handling der Tiere: die Trennung von der Herde, das Verladen, der Transport, das Entladen und die Zuführung zum entsprechenden Betäubungsverfahren, außerdem die Betäubung und Tötung selbst. Dabei ist ein achtsamer und professioneller Umgang mit den Tieren notwendig, der qualifizierte ethologische, also verhaltensbiologische, Grundkenntnisse voraussetzt. Hinlänglich erforscht sind inzwischen die Zusammenhänge von prämortalen Belastungen („Stress“) und verminderter Schlachtkörper- und damit Fleischqualität.
Die postmortalen Einflussfaktoren umfassen den Reifeprozess, die Hygiene, die Temperatur, die Luftfeuchte sowie die Zerlegung und die Qualität der Zuschnitte. Prämortaler Stress kann diese Faktoren beeinträchtigen: Stressbedingt gelangen mehr Erreger durch die Darmpassage, stressbedingt werden Reifeprozesse des Rindfleisches verzögert oder auch die Reifung der Rohwurst riskanter.
Nicht zuletzt durch ein sich änderndes Verbraucherbewusstsein rückt die Prozessqualität zunehmend in den Fokus. So beurteilen immer mehr Verbraucher ein Stück Fleisch heute nicht mehr allein nach den Parametern der Fleischbeschaffenheit, sondern ihr Wissen um die Herkunft und den möglichst tiergerechten und ethischen Erzeugungsprozess beeinflusst für sie den Genusswert maßgeblich mit.
Um also ein wirklich „gutes Stück Fleisch“ zu erzeugen, zu veredeln und zu essen, gilt es, diese Prozessqualität im Blick zu haben, den Tieren ein gutes Leben zuzugestehen, die Betäubung und Tötung ohne Stress und Angst durchzuführen und die Reifungsprozesse so optimal zu gestalten, dass die Qualität des Fleisches erhalten bleibt.
Es hätte viele Vorteile, Rindern und möglichst allen Nutztieren, den Transport zu immer weiter entfernt liegenden Schalchtstätten zu ersparen. Eine eigene Schlachtstätte auf dem Betrieb zu bauen ist eine teure Lösung. Wie also Lebendtiertransporte vermeiden, wenn die EU-Hygieneverordnung für Lebensmittel tierischen Ursprungs vorschreibt , dass Schlachttiere lebend in einen EU-zugelassenen Schlachtbetrieb verbracht werden müssen. Das EU-Recht lässt Ausnahmen nur für die Schlachtung von Farmwild und Bisons oder für Not- und Hausschlachtungen zu. In Deutschland gibt es außerdem die Ausnahme der Weideschlachtung für Rinder, die im ganzen Jahr im Freien leben. Doch was geschieht mit den Rindern, die – neben dem Aufenthalt auf der Weide – auch ab und zu im Stall untergebracht sind? Könnte man ihnen den stressigen Transport zur Schlachterei nicht auch ersparen, sie in vertrauter Umgebung betäuben und töten und lediglich die weitere Bearbeitung des Schlachtkörpers im Schlachtbetrieb vornehmen? Inwieweit ist der Einsatz einer mobilen Technik realistisch, die ein stressfreies Schlachten gestattet und gleichzeitig alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt? Wie wäre es, wenn der Schlachter zum Rind käme und nicht das Rind zum Schlachter?
Mit all diesen Fragen befasst sich die Operationelle Gruppe „Extrawurst“ aus Hessen im Rahmen eines Projektes der Europäischen Innovationspartnerschaft landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP Agri). Landwirte, Schlachter, Anlagenbauer und eine Veterinärin entwickeln dabei eine teilmobile Schlachteinheit, die es erlaubt, dass der Schlachter zum Rind kommen kann.
Das EIP-Projekt wurde 2017 genehmigt und hat eine Laufzeit bis September 2019. Unser Ziel war es, eine Schlachtung für nicht ganzjährig im Freien gehalten Rinder zu ermöglichen, dazu technische Entwicklungen, aber auch eine Leitlinie zu entwickeln, die möglichst bundesweit künftige Genehmigungen dieser Verfahren erleichtern sollte.
Wir haben zwei Schlachtunternehmen und zwei landwirtschaftliche Betriebe gefunden, in Nordhesse und in Südhessen, die am Verfahren Interesse hatten. In einem langen Prozess mit den Überwachungs- und Zulassungsbehörden haben wir Ende 2018 die vorläufige Zulassungen bekommen und konnten die Probeschlachtungen durchführen und aus diesen Erfahrungen heraus, die technischen Anteile (Hänger, Fixierstand, Schragen) verbessern und die Leitlinie entwickeln.
Mitglieder der Operationellen Gruppe: Fünf landwirtschaftliche Betriebe / Schlacht-betriebe Rohde und Hofmann / Innovative Schlachtsysteme ISS / Schlachtanlagenbau Ochs / Handwerkliche Fleischerfachberatung Lindauer / Verband der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung vlhf / Ver-einigung Hessischer Direktvermarkter VHD / Assoziierte Partner: Gerty-Strohm-Stiftung / / Universität Kassel, zwei Vertreter von Veterinärbehörden / Kreisbauernverband Werra-Meißner-Kreis / Öko-Modellregion Nordhessen / Bioland-Landesverband Hessen e.V.
Leadpartner ist das Büro für Agrar- und Regionalentwicklung / Die Landforscher in Kassel. Zusammen mit dem Verband der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung – vlhf –wurde dieses Projekt beantragt und durchgeführt. Das Projekt wird gefördert durch das Land Hessen und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER).
Was wir wollen:
Bei der teilmobilen Schlachtung kommt der Schlachter zum Rind und führt dort nur die ersten Schritte (Fixieren, Betäuben, Entbluten) durch. Er fährt dann mit dem getöteten Rind zum stationären Teil seines Unternehmens und führt dort alle weiteren Schritte durch. Dadurch entfallen für das Tier der Transport und das Betreten eines Schlachtraumes und damit die wesentlichen Stressfaktoren. Aus Sicht der Veterinäre und der Lebensmittelhygiene herausfordernd sind die Schnittstellen zwischen landwirtschaftlichem Betrieb und Schlachtbetrieb, die sich zwangsläufig durch die räumliche Nähe ergeben. Beides ist gut und sorgfältig zu gestalten und jeweils für die Schlachtung vorzubereiten.
Nachfolgende Beschreibung zeigt die Lösung, die wir sie im Rahmen des Projektes „Innovative Schlachtverfahren für Rinder“ entwickelt haben. Andere technische Lösungen sind möglich.
Die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz Arbeitsgruppe Fleisch- und Geflügelfleischhygiene und fachspezifische Fragen von Lebensmittel tierischer Herkunft kurz „AFFL“ ist eine Arbeitsgruppe der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz. Hier tagen die Vertreter der obersten Veterinärbehörden der Bundesländer. Diese Arbeitsgruppe hat sich mehrfach mit mobilen Schlachtungen befasst. 2016 wurde unter der Federführung des Ministeriums ländlicher Raum Baden-Württemberg eine neue Unter-Arbeitsgruppe zum Thema „mobile Schlachtung von Rindern“ eingerichtet. Sie hat in ihrer 29. Sitzung am 8. und 9. Mai 2018 unter anderem zur mobilen Schlachtung Folgendes zu Protokoll (Top 6.7) gegeben:
Allgemeine Lebensmittelhygieneverordnung (EG) Nr. 852/2004. Anhang II enthält die allgemeinen Hygienevorschriften für Betriebsstätten, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird. Er ist die Grundlage für die Eigenkontrollen des Schlachtunternehmers (HACCP-Konzept)
Die Verordnung (EG) 853/2004 enthält die spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprung. Der Anhang III, Abschnitt I enthält die besonderen Anforderungen an Schlachthöfe, u.a., dass nur lebende Tiere in den Schlachthof verbracht werden dürfen (Kapitel IV).
Verordnung (EG) 1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung ermächtigt u.a. die Mitgliedstaaten für mobile Schlachthöfe eigene Vorschriften zu machen.
Nationale Durchführungsverordnung TierLMHV
Landwirtschaftliche Betriebe sind sehr individuell. Vermeiden von Lebendtiertransporte bedeutet ein Abrücken von der eingespielten Routine – auch in der Zusammenarbeit mit dem örtlichen Metzger oder Schlachtunternehmen. Und es ist ein teureres Verfahren. Gelingt es, die Mehrkosten über den Produktpreis wieder einzunehmen, fallen die Mehrkosten nicht so sehr ins Gewicht. Das kann besonders in der Direktvermarktung der Fall sein..
Weideschlachtung? Nur für Betriebe mit ganzjährig im Freien gehaltenden Tieren. Optimal für Betriebe, die Naturschutzflächen pflegen. Möchte ich Tiere auf meinen Betrieb töten? Gibt es einen zuverlässigen und erprobten Schützen? Für welche Flächen kann ich eine Schießerlaubnis erhalten? Mehrdarüber erfahren.
Teilmobile Schlachtung? Betriebe vorrangig mit Mutterkuhhaltung aber nicht nur! Wie sind die örtlichen Gegebenheiten – kann eine mobile Schlachteinheit gut aufgestellt werden ? Gibt es eine Fixiereinrichtung auf dem Betrieb, die auch geeignet ist für das Betäuben des Rindes? Kann nach dem Zusammenbrechen das Rind schnell herausgezogen und innerhalb von 60 Sekunden zum Entbluten in die mobile Schlachteinheit gezogen werden?
Eine der zentralen Voraussetzungen für die Durchführung einer Weideschlachtung als auch einer teilmobilen Schlachtung ist das kooperierende Schlachtunternehmen. Wie weit entfernt zum Betrieb liegt das Unternehmen? Der Gesetzgeber schreibt vor: maximal eine Stunde bei Weideschuss, maximal 45 Minuten bei teilmobiler Schlachtung. Sieht das Schlachtunternehmen auch einen eigenen Vorteil im Anbieten dieser Dienstleistung?
Ein weiteres Ergebnis des EIP-Projektes „Innovative Schlachtsysteme“ ist die Erstellung von Leitlinien zur teilmobilen Schlachtung von Rindern. Sie sind das Ergebnis unseres Dialoges mit den Überwachungs- und Zulassungsbehörden in Hessen. Sie wurden mit dem Ziel erarbeitet, einen einheitlichen Rahmen zu schaffen für die Zulassung dieser neuen Verfahren.
Die Leitlinien sind kostenlos erhältlich.
Eine Handreichung für die Praxis. Ergebnisse des EIP-Projektes
Die Landforscher
Dr. Andrea Fink_Keßler
Tischbeinstr. 112
34121 Kassel
afk@agrar-regional-buero.de
www.landforscher.de
Verband der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung e.V. (vlhf)
Hans-Jürgen Müller
Steinbergstraße 2, 37216 Witzenhausen
hjm@biofleischhandwerk.de
www.biofleischhandwerk.de
Operationelle Gruppe „Extrawurst“
EIP-Projekt „Innovative Schlachtsysteme“
LEAD-Partner
Die Landforscher
Dr. Andrea Fink-Keßler
Tischbeinstr. 112
34121 Kassel
info@biofleischhandwerk.de
afk@agrar-regional-buero.de
Für die Förderung zuständig:
Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz -
ELER-Verwaltungsbehörde - Referat VII 6
Mainzer Straße 80 65189 Wiesbaden
eler@umwelt.hessen.de
www.eler.hessen.de